Der Ärztemangel auf dem Land und mögliche Lösungen werden in der Dokumentation „plan b“ beleuchtet
09.02.2023 | Der Bau des neuen „Gesundheitshauses“ in der Oberstadt Zell kommt gut voran
Zell am Harmersbach– Der Ärztemangel auf dem Land und mögliche Lösungen werden in der Dokumentation „plan b“ beleuchtet. Hausarzt Wolfgang Stunder: „Wir brauchen dringend junge Ärzte fürs MVZ“.
Ärztemangel auf dem Land wird in naher Zukunft ein wachsendes Problem für Städte und Gemeinden werden. Nun nahm sich auch das ZDF des Themas an, drehte unter anderem in der ehemaligen Hausarztpraxis Stunder in Zell, die seit April 2022 Jahres in das MVZ Kinzigtal Zell a. H. umstrukturiert wurde (wir berichteten). Bei der Dokumentation im Rahmen der Reihe „plan b“ geht es nicht nur um Probleme, sondern vor allem um deren Lösung. Und die wurde in Zell mit dem Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) gefunden, bzw. im Rahmen der Trägerschaft der gemeinwohlorientierten ärztlich geführten Genossenschaft „rGV Kinzigtal eG“ (regionale Gesundheitsversorgung Kinzigtal eG). „Jetzt brauchen fürs MVZ noch dringend junge Ärzte“, sagt Wolfgang Stunder.
Den Hausarzt, wie man ihn vor allem im ländlichen raum kennt, wird es in dieser Form bald wohl nicht mehr geben. Es ist der Hausarzt, der sozusagen rund um die Uhr da ist, der Familien über Generationen medizinisch begleitet, der sich mit viel finanziellem Einsatz eine Praxis aufbaut und der morgens der Erste in der Praxis ist und spätabends der Letzte, der sie wieder verlässt. Es ist der Arzt, von dem nicht nur medizinischer Scharfblick beim Erkennen von Krankheiten aller Art verlangt wird, sondern der auch in der überbordenden Bürokratie seine Frau oder seinen Mann stehen muss. Und das täglich. Oft bis in die Nacht.
Die neue Generation der Mediziner hat heutzutage eine andere Auffassung von Berufs- und Privatleben. Der Facharzt für Allgemeinmedizin von heute wünscht sich einen geregelten Arbeitstag genauso wie planbare Freizeit, Arbeiten im Team und Netzwerk. Er zieht die Sicherheit eines Angestelltenverhältnisses einem „selbst und ständig“ in der eigenen Praxis vor. Auch bei den Allgemeinmedizinern hat Gewicht, was neudeutsch als „work-life-balance“ bekannt ist. Junge Frauen im Arztberuf wiederum wollen ihre Familienplanung mit dem Beruf vereinbaren.
All diese Wünsche lassen sich nur schwer mit dem Praxisalltag eines Landarztes verbinden. Zwangsläufig haben die jetzigen Hausärzte daher größte Schwierigkeiten, Nachfolger zu finden. So auch Brigitte und Wolfgang Stunder aus Zell, die beide inzwischen jeweils den 70. Geburtstag vor sich oder hinter sich haben. Die Stunders gehen nun zusammen mit der „Gesundes Kinzigtal GmbH rGV Kinzigtal eG“ neue Wege, um über ein MVZ die hausärztliche Versorgung in der Stadt langfristig zu sichern. Und damit auch ihre Nachfolge (wir berichteten).
Inzwischen ist auch das Fernsehen auf das „genossenschaftliche Modell in Zell“ aufmerksam geworden. „plan b“ heißt bezeichnender Weise die Sendereihe des ZDF, die sich dem Ärztemangel im ländlichen Raum und möglichen Lösungswegen beschäftigt.
Plan B der Stunders
Der Plan B der Stunders nach ihrer vergeblichen Suche nach Nachfolgern wird in dem Bericht ebenso eine Rolle spielen, wie kreative Lösungen gegen Ärztemangel im norwegischen Hammerfest, in Thüringen, Sachsen und Ungarn. Medizinische Versorgung ist also kein landesspezifisches Problem. Autor und Regisseur der Dokumentation ist Frank Zintner von der Berliner Firma „Die Filmemacher“, die für das ZDF den Beitrag produziert. Voraussichtlich am 1. Juli wird die Sendung am späten Nachmittag ausgestrahlt.
Zintner und sein Team waren am vergangenen Freitag zum Dreh im MVZ Kinzigtal Zell, wie die Arztpraxis Stunder jetzt heißt, um dort Szenen aufzunehmen und Interviews zu machen. Weitere Stationen waren die Baustelle des neuen MVZ in der Zeller Oberstadt sowie das „Gesunde Kinzigtal“ in Hausach, wo das Team die rGV-Geschäftsleitung Susanne Halsinger interviewte. Wie berichtet, sind im späteren „Gesundheitshaus Zell“ die Praxen komplett eingerichtet, die dort praktizierenden Ärzte angestellt.
Einer von ihnen wird Lukas Lehmann sein, der aktuell in der Praxis Stunder eine 1,5-jährige Weiterbildungszeit zum Facharzt für Allgemeinmedizin absolviert. „Es werden aber noch mehr junge Ärztinnen und Ärzte im MVZ gebraucht“, betont Stunder. „Es müssen Fachärzte für Allgemeinmedizin oder für Innere Medizin sein“, sagt der Hausarzt mit 35 Jahren Berufserfahrung. Und wo gibt es die? „Viele arbeiten in Kliniken oder machen Vertretungen“, weiß Stunder. Genau die wolle man erreichen.
Im Interview mit dem Filmteam wurde Wolfgang Stunder unter anderem gefragt, was einen Landarzt ausmacht. „Die Leidenschaft für den Beruf“, antwortete er, „aber auch körperliche Kondition, Nervenstärke, psychische Stabilität und Flexibilität“. Schließlich muss ein Allgemeinmediziner sich mit Fällen unterschiedlichster Art beschäftigen, sozusagen vom Fußpilz übers Nasenbluten bis hin zum Schlaganfall oder unheilbaren Krankheiten. Von den persönlichen Lebensgeschichten der Patienten einmal ganz abgesehen.
Stunders wurde beim Drehtermin auch befragt, wo die Ursachen für den Ärztemangel seiner Meinung nach liegen.
Die zählt im Gespräch Brigitte Stunder auf: „Manche schreckt die Abgeschiedenheit der Praxen ab, viele können sich gar nicht vorstellen, dass es auf dem Land auch Lebensqualität geben kann.“
Hinzu komme, dass eine Hausarztpraxis keine geregelte Arbeitszeit hat. Genau das wolle das MVZ bieten, wobei sich für die Patienten nicht allzuviel ändert. Denn feste Praxiszeiten gibt es schon jetzt.
Und was erhoffen sich die Stunders von dem Fernsehbeitrag?
„Das schafft noch einmal eine zusätzliche Sensibilisierung für das Thema“, ist sich Wolfgang Stunder sicher. „Wir tragen ja auch eine Mitverantwortung für die nächste Generation“.
Quelle: Offenburger Tageblatt 26.05.2023 – Dietmar Ruh
Fotos: Dietmar Ruh/Offenburger Tageblatt